Strahlenbedingte Hautreaktionen:
Prophylaxe und Therapie der Radiodermatitis
Bei vielen Krebserkrankungen sind radioonkologische Behandlungen ein essenzieller
Bestandteil der Therapie. Während und nach perkutaner Strahlentherapie kann sich in
Abhängigkeit der Strahlenqualität, der Bestrahlungsdosis und der Energie der Strahlung
sowie der bestrahlten Fläche eine akute Radiodermatitis ausbilden. Diese sind meist lokal
auf das Bestrahlungsareal begrenzt.
Die Radiodermatitis ist eine Reaktion der Hautzellen
auf die Bestrahlung. Eine strahleninduzierte Reaktion
der Haut, eine Radiodermatitis, tritt ab ca. der 3. Bestrahlungswoche
auf. Ausgeprägte Radiodermatitiden
sind sehr schmerzhaft und das Risiko einer Superinfektion
besteht. Durch geeignete prophylaktische und
therapeutische Maßnahmen sollen die Folgen minimiert
werden.
Definition:
Die Radiodermatitis bezeichnet eine durch
ionisierende Strahlung hervorgerufene,
entzündliche Reaktion der Haut.
Das Ausmaß einer Strahlendermatitis
wird durch Faktoren der Patient:innen,
wie Allgemeinzustand, (biologisches)
Lebensalter, Geschlecht und Komorbiditäten
oder aber auch durch Co-Medikationen,
wie z.B. Johanniskraut, Immuntherapien
oder andere Substanzen,
mitbestimmt. Ebenso spielen Behandlungsfaktoren
wie Gesamt- und Tagesdosis
der Strahlung, Verabreichungs- und
Bestrahlungstechniken, Größe und Lage
des Behandlungsbereich eine Rolle.
CTCAE-Skala zur Klassifikation akuter Nebenwirkungen (Common Toxicity Criteria) |
Grad 1 Geringes Erythem, Epilation, trockene Desquamation, reduzierte Schweißsekretion |
Grad 2 Mäßiges Erythem, vereinzelt feuchte Epitheliolyse (unter 50 %), mäßiges Ödem |
Grad 3 Ausgeprägtes Erythem, konfluierende feuchte Epitheliolyse (über 50 %), starkes Ödem |
Grad 4 Tiefe Ulzera, Hämorrhagie, Nekrose |
Prophylaktisch Maßnahmen
Evidenzbasiertes pflegerisches Wissen zur Prophylaxe
der Radiodermatitis besteht wenig.
Die dargestellten Maßnahmen beziehen sich auf die
vorhandenen Leitlinien und Erfahrungswissen.
Desquamation:
Abstoßung der obersten Hornschicht der Haut
mit Bildung von Schuppen = Abschuppung,
Schuppenbildung
Ziel
• Zu Beginn der Radiotherapie wird der aktuelle
Hautzustand beurteilt und individuelle Risikofaktoren
sowie die Hautpflegegewohnheiten ermittelt.
• Wichtig ist die kontinuierliche Inspektion des Bestrahlungsgebietes,
um Veränderungen frühzeitig
zu erkennen. Es sollte auf Rötungen, trockene/
feuchte Desquamation geachtet werden.
• Ebenso ist die tägliche Befragung nach individuellen
subjektiven Symptomen, wie Brennen, Hitzegefühl,
Juckreiz, Spannungsgefühl, Schmerzen wichtig.
• Information und Beratung zur Prophylaxe der
Radiodermatitis sollten bei allen Patient:innen
durchgeführt und individuelle pflegerische Ziele
vereinbart werden. Diese werden in regelmäßigen
Abständen evaluiert und ggf. angepasst.
Hautmittel: pH- neutrale und nichtalkalische
Waschsubstanzen
Reinigung: Lauwarmes Duschen (2-3 Minuten)
oder tägliches Waschen ist erlaubt
• Keine Vollbäder, Schwimmbad,
Sauna
• Kein Föhnen von Haaren
im Bestrahlungsgebiet
• Keine Nassrasur im Bestrahlungsgebiet
um Verletzungen zu vermeiden
Empfehlung: Basiscreme oder Lipolotion unter
Zusatz von Urea (2-5 %) ohne allergisierende
Substanzen. Es liegen keine ausreichenden
Erkenntnisse vor, um ein bestimmtes Hautmittel
für die Anwendung während der Strahlentherapie
zu empfehlen. Die prophylaktische Anwendung
von Kortikosteroiden auf der Haut wird kontrovers
diskutiert. Es gibt keine ausreichende Evidenz für
eine generelle prophylaktische Anwendung.
• Keine Duftstoffe
• Keine pflanzlichen Stoffe
Kleidung
Wesentliche Grundlage der Prophylaxe der Radiodermatitis
ist die Reduktion des oberflächlichen
Zellverlustes. Dies kann durch weite, nicht abschließende,
nicht scheuernde sowie luftdurchlässige
Kleidung unterstützt werden.
Ein silikonisierter drainagefähiger Schaumverband
kann auf Hautarealen mit hoher mechanischer Belastung,
z. B. Brust oder Hals verwendet werden.
• Kein Bügel BH bei Mamma Bestrahlung,
um Druckstellen zu vermeiden
Freizeit und Umwelt
Direkte Sonnenexposition muss vermieden werden,
da die zusätzliche UV-Belastung das Risiko einer
Radiodermatitis erhöht. Keine Wärme- oder Kälteapplikationen
im Bestrahlungsgebiet, Ausnahme ist
eine milde Kälteanwendung mittel Coolpads.
Weitere Maßnahmen
Um die Verringerung des Schweregrads von Hautschädigungen
zu erreichen, sollte der präventive Einsatz
von silikonisierten Folienverbänden nicht außer
Acht gelassen werden. Der Ansatz besteht darin, die
empfindliche Haut vor weiteren Schäden zu bewahren,
indem sie vor Reibung geschützt wird; dies kann mit
Folienverbänden erreicht werden, die ab dem Beginn
der Strahlentherapie verwendet werden. Silikonisierte
Folienverbände haften sehr gut in den Falten der Haut,
ohne beim Abnehmen ein Trauma zu verursachen.
In mehreren Studien wird dies belegt, jedoch sollten
dazu noch weitere Studien durchgeführt werden, um
die Wirksamkeit im Rahmen der Prävention zu belegen
und eine eindeutige Empfehlung aussprechen zu
können.
Pflaster dürfen im Bestrahlungsfeld nicht aufgebracht
werden. Da sich dies bei einer Radiodermatitis oder
Wunden, z. B. exulzerierenden Tumoren, nicht immer
vermeiden lässt, empfiehlt die Autorin silikonisierte
Pflaster oder Folien. Hierzu gibt es allerdings keine
Evidenz im Bereich der Radiodermatitis. Studien
mit silikonisierten Schaumverbänden belegen einen
schmerzarmen und einfachen Verbandwechsel sowie
eine Prävention von Pflaster induzierten Traumata.
Durch silikonisierte Auflagen kommt es zu keinem
transepidermalen Wasserverlust. Ein Trauma des Stratum
corneum kann durch silikonbeschichtete Auflagen
vermieden werden.
Wichtig ist ein einheitliches Konzept, zur
Prophylaxe der Radiodermatitis, welches
durchgehend von allen Beteiligten umgesetzt
wird.
Bestrahlung im Genital- und
Analbereich
Bestrahlungen bei Analkarzinom oder Vulvakarzinom
sind besondere Herausforderung, da Feuchtigkeit,
Reibung und Scherkräfte in dieser Region vorhanden
sind. Wichtig ist hier luftdurchlässige Unterwäsche
aus Baumwolle mit Beinsatz oder bei Bedarf können
Fixierpants mit verlängertem Beinsatz und Inkontinenzeinlage
benutzt werden. Beim Toilettengang sollte
auf weiches Toilettenpapier und/oder feuchte Einmalwaschlappen
geachtet werden, um Reibung weitgehend
zu vermeiden.
Nach der Erfahrung der Autorin können Hautschutzsalben
bei Feuchtigkeit benutzt werden. Es existiert
keine Evidenz für diese Maßnahme.
Therapeutische
Maßnahmen
Die Empfehlungen hinsichtlich der Therapie einer
Radiodermatitis sind abhängig vom Schweregrad der
Hautreaktion. Eine strahleninduzierte Reaktion der
Haut, eine Radiodermatitis, tritt ab ca. der 3. Bestrahlungswoche
auf. Wesentliches Merkmal ist hierbei,
ob eine feuchte Desquamation vorliegt. Diese geht
mit einem schwerwiegenden Defekt der Barriereund
Abwehrfunktion der Haut einher. Während bei
leichtgradigen Veränderungen der Fokus v.a. auf der
Symptomkontrolle liegt, müssen bei höhergradigen
Hautreaktionen Komplikationen wie Infektionen und
systemische Reaktionen vorgebeugt und rechtzeitig
erkannt werden.
Die Empfehlungen zur Prophylaxe der Strahlendermatitis
sollten alle weitergeführt werden.
Grad 1 Radiodermatitis
Grad 1 der Radiodermatitis zeigt ein blasses Erythem
und/oder trockene Abschuppungen. Es können Juck-
reiz und Schmerzen auftreten.
Die AWMF-Leitlinie empfiehlt hier kühlende Maßnah-
men. Da es sich bei der Strahlendermatitis um eine
akute Entzündungsreaktion handelt, sollte analog zu
anderen Entzündungsreaktionen der Haut (z.B. Ver-
brennungen) auf eine suffiziente Flüssigkeitszufuhr
geachtet werden. Durch eine gestörte Kapillarfunktion
kommt es zu einem erhöhten Volumenverlust.
Maßnahmen
• Durchführung der prophylaktischen Maßnahmen
• In Arealen mit mechanischer Belastung ist bei Grad
1 der Radiodermatitis ein Schutz besonders wichtig.
Ein drainagefähiger silikonisierter Schaumverband
kann eingesetzt werden (Expertenmeinung).
• Einsatz von topischen Kortikosteroiden kann
erwogen werden.
Grad 2 Strahlendermatitis
Grad 2 der Strahlendermatitis zeigt ein mäßiges
Erythem, vereinzelt feuchte Desquamation
(unter 50 %) und ein mäßiges Ödem. Die feuchten
Desquamationen sind hauptsächlich in den Hautfalten
sichtbar.
Eine Radiodermatitis ≥ Grad 2 führt zu einem stei-
genden Risiko für eine sekundäre Infektion der Haut.
Aus diesem Grund sind prophylaktische antiseptische
Maßnahmen notwendig. Lange Einwirkzeiten von
antiseptischen Maßnahmen sind zu vermeiden, um
Mazerationen zu verhindern. Octenisept kann zu einem
Brennen auf der bereits gereizten Haut führen (Exper-
tenbeobachtung). Hypochlorige Lösungen eignen sich,
nach Meinung der Autorin, für die prophylaktische
Anwendung. Evidenz liegt zu prophylaktischen anti-
septischen Maßnahmen bei einer Strahlendermatitis
nicht vor. Jedoch liegt ausreichend Literatur zur Wirk-
samkeit antibakterieller Produkte zur Infektionspro-
phylaxe vor.
Maßnahmen
• Durchführung der prophylaktischen Maßnahmen
• Antiseptische Maßnahmen mit Vliesstoffkompres-
sen (steril) durchführen, dabei die Kompressen nur
auflegen, die Herstellerangaben sind zu berücksich-
tigen.
• Bei feuchten Desquamationen können dünne
silikonisierte Polyurethan Schaumverbände als
atraumatische Wundabdeckung oder silikonisierte
Wunddistanzgitter mit Vliesstoffkompressen (steril)
genommen werden.
• Fixierung von Verbänden ausschließlich mit sili-
konisierten Materialien oder mit nicht-haftenden
Materialien (z. B. Schlauchverbänden, Binden), um
eine zusätzliche Traumatisierung der Haut zu ver-
hindern.
• Der Verband sollte möglichst dünn sein, um einen
Wärmestau zu vermeiden.
• Ein atraumatischer Verbandwechsel ist zu gewähr-
leisten.
• Der Einsatz von topischen Kortikosteroiden kann
erwogen werden.
• Verbandwechsel werden hygienisch mit sterilen
Materialien durchgeführt.
Grad 3 Radiodermatitis
Grad 3 der Radiodermatitis zeigt ein ausgeprägtes
Erythem, konfluierende feuchte Desquamationen und
ein starkes Ödem. Die betroffenen Hautareale zeigen
eine leichte Verletzlichkeit mit Blutungsneigung.
Prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung von
Wundinfektionen sind notwendig.
Maßnahmen
• Durchführung der prophylaktischen Maßnahmen
• Antiseptische Maßnahmen mit Vliesstoffkompressen
durchführen, dabei die Kompressen nur auflegen,
die Herstellerangaben sind zu berücksichtigen.
• Bei feuchten Desquamationen können dünne
silikonisierte Polyurethan Schaumverbände als
atraumatische Wundabdeckung oder silikonisierte
Wunddistanzgitter mit Vliesstoffkompressen ge-
nommen werden.
• Bei größeren Exsudatmengen kann ein drainagefähi-
gen silikonisierten Schaumverband und ein saugen-
der Sekundärverband verwendet werden.
Dies hat den Vorteil, dass der Sekundärverband bei
Bedarf mehrmals täglich gewechselt werden kann.
Bei bestimmten Fällen, z. B. Hals-Kopf-Tumor-
Patient:innen, die während der Bestrahlung eine
Maske tragen müssen, kann der Sekundärverband
abgenommen und der Primärverband belassen
werden.
• Ein atraumatischer Verbandwechsel ist zu gewähr-
leisten.
Grad 4 Radiodermatitis
Grad 4 der Radiodermatitis zeigt Hämorrhagien
und/ oder Ulzerationen. Dies ist jedoch sehr selten.
Ein Strahlenulcus soll nach den allgemeinen Regeln
der Wundversorgung behandelt werden.
Maßnahmen
• Die Maßnahmen entsprechen den Empfehlungen
wie bei Grad 2 und Grad 3.
• Ulzerationen sind nach den Regeln einer feuchten
Wundversorgung zu behandeln.
• Die meisten Wundverbände können während der
Bestrahlung belassen werden, dies hat das Team
der Expertin getestet.
• Falls eine Maske unter der Bestrahlung getragen
werden muss, kann nur ein dünner Verband wäh-
rend der Bestrahlung belassen werden. Hier ist es
sinnvoll bei hohem Exsudataufkommen ein drai-
nagefähiger Schaumverband als Primärverband zu
benutzen. Dieser verbleibt unter der Bestrahlung
und der Sekundärverband kann nach der Bestrah-
lung wieder angebracht werden.
• Verbände mit Saugkompressen oder Superabsorber,
die unter Bestrahlung belassen werden, sollten vor
der Bestrahlung gewechselt werden. Sehr feuchte
Verbände können die Belastung der Haut während
der Bestrahlung erhöhen.
Fazit:
Die Datenlage zur Prophylaxe und Therapie
der Radiodermatitis ist auf Grund der Vielzahl
eingesetzter Substanzen schwer beurteilbar.
Von Beginn der radioonkologischen Therapie
an sind Hautprophylaxe, wie Hautreinigung und
Hautpflege sehr wichtig. Das betroffene Areal
sollte vor mechanischer Reizung geschützt
werden.
Ein einheitliches Konzept zur Prophylaxe ist
notwendig. Information und Beratung zur Pro-
phylaxe der Radiodermatits ist für Patient:innen
und Angehörige von großer Wichtigkeit, damit
entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.
Informationsmaterialien in schriftlicher Form
sollten eingesetzt werden.