Kolumne aus der Wundversorgung von Kerstin Protz
Exsudatmanagement beinhaltet die Bewertung und Regulierung des Exsudataufkommens. Dies bedeutet, dass ein Ausgleich zwischen erwünschter und unangemessener Exsudatmenge stattfindet. Darauf aufbauend erfolgt die Optimierung der Wundbedingungen beispielsweise durch eine Infektsanierung und -kontrolle, den Einsatz eines Hautschutzes, die Reduzierung von Wundgeruch, die Auswahl angepasster Wundauflagen und individuelle Verbandwechselintervalle.
Definition:
Die Leitlinie des Ministry Of Health Singapore (MOHS) von 2001 beschreibt Exsudat als Austritt von Flüssigkeit (gegebenenfalls auch Zellen, Eiweiß und Blut) aus den Blut- und Lymphgefäßen. Die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. definiert in der S3 Leitlinie „Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz“ Exsudat als „durch Entzündung bedingten Austritt von Flüssigkeit und Zellen aus den Blut- und Lymphgefäßen“. Neben der Funktion im Heilungsprozess lassen sich aus dem Exsudat auch Erkenntnisse über den Heilungsfortschritt, den Wundzustand und Erkrankungen ablesen.
Entstehung, Zusammensetzung und Aufkommen
Wundexsudat besteht aus Wasser, Elektrolyten, Enzymen, Nährstoffen sowie Leukozyten und ähnelt äußerlich dem Blutplasma. Weitere Bestandteile sind Entzündungsmediatoren, Wachstumsfaktoren und Abfallprodukte. Grundbestandteil ist eine Flüssigkeit, die aus den Kapillaren austritt und normalerweise auch zum größten Teil wieder von diesen resorbiert wird. Entsteht durch eine Verletzung des Körpergewebes ein entzündlicher Prozess, erhöht sich die Durchlässigkeit der Kapillaren durch das Hormon Histamin. Die Folge ist ein vermehrtes Austreten dieser Flüssigkeit, auch in die entstandene Wunde. Hier werden dann weitere Bestandteile aufgenommen und Wundexsudat entsteht. In einer akuten Wunde, die unkompliziert heilt, reduziert sich die Exsudatmenge kontinuierlich. Unverändert hohe Exsudatmengen deuten auf Komplikationen im Heilungsverlauf hin.
Exsudat ist also ein physiologischer Faktor der Wundheilung, der die Wunde feucht hält, Zelltrümmer, Abfall- sowie Fremdstoffe ausspült und für die Verteilung von Wundheilungsfaktoren, wie Fibroblasten, Keratinozyten und Endothelzellen sorgt. Daher ist die Schaffung und Erhaltung eines feuchten Wundmilieus ein Schwerpunkt der Wundversorgung. Ein feuchtes Wundmilieu begünstigt das Einsprießen neuer Zellen und ermöglicht in der Folge den Wundverschluss.
Die Exsudatmenge ändert sich je nach Wundphase. In der Reinigungsphase tritt viel Exsudat auf, um den Reinigungsprozess zu beschleunigen. In der Epithelisierung wird nur noch wenig Exudat benötigt, damit die Epithelzellen einsprießen können.
Erleben des Patienten
Ein großes Exsudataufkommen bedeutet für den Patienten durch das permanente Nässen der Wunde und die meist damit einhergehende schmerzhafte Schädigung von Wundrand und -umgebung erhebliche Beeinträchtigungen in seiner Lebensqualität. Zudem sind die Betroffenen in ihrer Kleider- und Schuhauswahl eingeschränkt, da sich die Feuchtigkeit in der Kleidung abzeichnet und nach außen hin sichtbar ist. Oft kommen noch unangenehme Gerüche hinzu. Ein adäquates Exsudatmanagement sichert und erhöht die Lebensqualität des Patienten.
Beurteilung nach Farbe, Viskosität und Geruch
Die Beschaffenheit des Wundexsudats erlaubt Rückschlüsse auf den aktuellen Wundzustand. Farbe, Viskosität und Geruch werden durch die jeweilige Wundphase sowie das zugrunde liegende Krankheitsbild und die Größe der Wundoberfläche beeinflusst.
Farbe:
Das normale Erscheinungsbild ist klar, transparent bis bernsteingelb. Gründe für Verfärbungen sind der folgenden Tabelle zu entnehmen.
Farbe: | Mögliche Ursachen: |
Abb.1: klar, transparent, bernsteingelb |
Normales, seröses Erscheinungsbild Ggf. Vorliegen von Lymph- (siehe Abb. 1 in der Tabelle) oder Harnwegsfistel |
Abb.2: rosa, rot |
Blutzellen im Exsudat, beispielsweise durch eine Verletzung oder nach Spalthautentnahme (siehe Abb. 2 in der Tabelle) |
Abb.3: gelb, bräunlich |
Rückstände durch Wundauflagen, z.B. Hydrokolloidverbände (siehe Abb. 3 in der Tabelle) Bestandteile von Wundschorf Ggf. Vorliegen von Darm-/Harnwegsfistel |
Abb.4: Milchig, trübe, cremefarben |
Fibrinfäden durch Entzündung, Infektion (siehe Abb. 4 in der Tabelle) |
Abb.5: grün |
Infektion durch Pseudomonas aeruginosa (siehe Abb. 5 in der Tabelle) |
grau, blau | Rückstände silberhaltiger Wundauflagen |
Viskosität:
auch Konsistenz oder Fluidität genannt, des Exsudats ermöglicht Rückschlüsse auf Wundzustand, Erkrankungen und die Auswahl der Versorgung. Die Viskosität variiert nach zäh oder flüssig. Zusätzlich kann das Exsudat blutig, serös, blutig-serös und eitrig (trübe) sein. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über Ursachen verschiedener Viskositäten.
Viskosität: | Mögliche Ursachen: |
Dünnflüssig, laufend, niedrige Viskosität | Geringer Eiweißanteil, z.B. aufgrund von Mangelernährung, venöser/lymphatischer Erkrankung oder dekompensierter kardialer Erkrankung Ggf. Vorliegen von Lymph-, Harnwegs- oder Gelenkspaltfistel |
Zähflüssig, klebend, hohe Viskosität | Hoher Eiweißanteil aufgrund einer Entzündung Rückstände von Verbandmaterial, z.B. Hydrokolloidverband oder von topischen Präparaten |
Geruch:
ist immer ein störender Einflussfaktor und deshalb zeitnah zu behandeln. Jeder Mensch nimmt Gerüche anders wahr, daher ist Geruch immer eine subjektive Größe. Untypischer Wundgeruch ist lediglich mit JA oder NEIN zu erfassen. Süßlich, säuerlich, jauchig, faulig, fäkal, stinkend, besonders übel riechend, sind subjektive Eindrücke und sind nicht eindeutig. Der Geruch des Exsudats ist daher nicht wertend zu beschreiben und sollte mit einer klaren Aussage erfasst werden. Mögliche Ursachen für unangenehme Gerüche sind: Wundinfektion, Tumorexucleration, feucht-nekrotisches Gewebe.
Exsudatmenge:
Teilweise hängt die Exsudatmenge von der Wundoberfläche ab. Je größer diese ist, desto mehr Exsudat kann auftreten. Begriffe wie viel, mittel, mäßig, wenig, kaum geben lediglich subjektive Wahrnehmungen wieder, denn die Menge ist eine relative Größe und lässt sich nicht objektiv beschreiben. Die Häufigkeit der Verbandwechsel, die Anzahl der durchnässten Auflagen sowie die Materialauswahl bezüglich Saugkraft, Aufnahmevermögen und Retention ermöglichen einen Rückschluss auf die Exsudatmenge. Kommen beispielsweise Wundauflagen mit einem hohen Aufnahmevermögen zum Einsatz, wie Vlieskompressen mit Superabsorber, die ein- bis mehrmals täglich gewechselt werden, deutet dies auf VIEL Exsudat hin. Ist ein Verbandwechsel nur alle zwei bis drei Tage notwendig, besteht eine MÄSSIGE oder MITTLERE Exsudatmenge. Ein hausinterner Standard sollte die zu verwendenden Begriffe für die Mitarbeiter verständlich definieren.
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über Ursachen von Exsudatmengen.
Menge: | Mögliche Ursachen: |
Abb.A: viel |
Geringer Eiweißanteil, z.B. aufgrund von Wunden in der Reinigungs- bzw. Exsudationsphase Infizierte Wunden Verbrennungswunden Lymphatisch oder venös gestaute Ulzera (siehe Abb. A in der Tabelle) Tumorexulceration |
Abb.B: mittel |
Fortschreitende Wundheilung (siehe Abb. B in der Tabelle) |
Abb.C: wenig |
Dehydration Ischämische Ulzera Wunden in der Epithelisierungsphase (siehe Abb. C in der Tabelle) |
Möglichkeiten der Versorgung:
Wundexsudat ist stets ursächlich zu behandeln, das bedeutet z. B. bei einer chronisch venösen Insuffizienz das Anlegen einer sach- und fachgerechten Kompressionstherapie oder eine entsprechende Infektsanierung bei infizierten Wunden. Die Wechselintervalle erfolgen nach dem Grundsatz: „so häufig wie nötig, so selten wie möglich''. Bei stark exsudierenden Wunden sind Wundauflagen mit großer Aufnahmekapazität angebracht, z.B. Vlieskompressen mit Superabsorber. Wichtig ist, dass die Produkte das Exsudat vertikal aufnehmen, um die Flüssigkeit von Wundrand und -umgebung wegzuleiten und keine Hautschädigungen zu provozieren. Zähere Exsudate sollten die Poren der verwendeten Wundauflagen nicht verstopfen. Die Verwendung von Abdeckungen und Wundauflagen ohne Klebeflächen mindert zusätzlich die Belastung der angegriffenen Umgebungshaut. Schonend und zugleich schützend ist der Einsatz von silikonbeschichteten Wundauflagen. Schmerz- und Geruchsbekämpfung sowie ein adäquater Hautschutz sind weitere Schwerpunkte der Versorgung. Bei stark exsudierenden Wunden besteht eine erhöhte Mazerationsgefahr, da Feuchtigkeit permanent auf Wundrand und -umgebung einwirkt. Ein angepasster Hautschutz beugt schmerzhaften Irritationen und weiteren Defekten vor. Transparente Produkte, z.B. aus Acrylat Terpolymeren bzw. Polyacrylatfilmen, sind zu bevorzugen, da ein durchsichtiger Film die Beobachtung der Haut ermöglicht.
Fazit:
Wundexsudat beeinflusst die Wundbehandlung, hat Auswirkungen auf die Lebensqualität des Patienten und kann den Abheilungsprozess maßgeblich behindern. Aus der Beurteilung des Wundexsudats die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist der Schlüssel des Erfolgs. Wundauflagen und Wechselintervalle sind der jeweiligen Exsudatmenge individuell anzupassen. Im Fokus steht die adäquate Diagnostik und eine darauf aufbauende Behandlung der Wundursache.
Autor:
Kerstin Protz ist Krankenschwester, Managerin im Sozial- und Gesundheitswesen, Referentin für Wundversorgungskonzepte, Sachverständige für Pflege, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg e.V. und Fachautorin.
Bilder und Text: Kerstin Protz