Kolumne aus der Wundversorgung von Kerstin Protz
Der Markt bietet zur Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden eine umfassende Palette an Verbandmitteln, Kompressionsversorgungen, Wundspüllösungen, etc. an. In Deutschland sind derzeit über 7.000 Produkte erhältlich, wenn man alle Anbieter, Reimporte und Größen mit einbezieht. Dieses riesengroße Angebot erschwert es Verordnern und Anwendern, einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Versorgungsmöglichkeiten zu behalten.
Nachfolgend werden Hinweise zu einer an Wund- und Patientensituation angepassten Materialauswahl bei der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden gegeben. Die nachfolgenden Informationen basieren auf dem Standard „Information: Sinnvolle Auswahl von Materialien in der Wundversorgung“ (https://www.wundzentrum-hamburg.de/standards/downloads/) und sind um weiterführende Aspekte ergänzt. Die nachfolgenden Angaben sind weder vollständig noch universell gültig, können aber als Grundlage für den Einsatz und Umgang mit Verbandmitteln gelten.
Im Versorgungsalltag wird der Fokus oft auf die Auswahl der Wundauflage/n gelegt. Dies bedeutet, wenn keine Heilungstendenzen ersichtlich sind oder die Wunde stagniert, wird meist von einem Produkt auf ein anderes gewechselt. Doch auch ein optimal angepasstes Verbandmittel garantiert noch keinen zügigen Heilungsfortschritt. In der Folge kommt es zu Brüchen in Therapie, Kostenexplosionen und auf Seiten von Anwendern und Betroffenen zu Frust und Vertrauensverlust. Die Wundbehandlung kann nur im Zusammenhang mit einer adäquaten Kausaltherapie und entsprechender Patientenadhärenz Heilungserfolge zeigen. Dies bedeutet, dass bei der Behandlung eines Dekubitus primär Druck-, Reibe-, und Scherkräfte auszuschließen sind. Bei einem diabetischen Fußulkus ist neben einer guten Stoffwechseleinstellung die Druckentlastung des betroffenen Fußes erforderlich. So sind bei einer arteriellen Durchblutungsstörung, Maßnahmen zur Revaskularisation durchzuführen. Für die Abheilung eines Ulcus cruris venosum ist eine fach- und sachgerechte Kompressionstherapie erforderlich. Hinzu kommen noch Maßnahmen der Patientenedukation. Eine individuell angepasste Wundversorgung erfolgt erst im Anschluss an die Berücksichtigung der genannten Aspekte. Diese sollte sich neben dem Wundzustand primär an Patientenbedürfnissen und -akzeptanz orientieren, aber auch wirtschaftliche Aspekte und die Handhabbarkeit der Materialien sind zu beachten. Das Wechselintervall orientiert sich nicht an standardisierten Abläufen, sondern an Wundzustand und Herstellerangaben. Zudem müssen die Versorgungsmaßnahmen laut Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Sozialgesetzbuch (SGB) V) „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“ und „dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.“ Generell gilt, dass die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden von den nachfolgenden Vorgehensweisen nicht primär profitiert, aber die ärztlichen Budgets erheblich belastet werden!
Im Regelfall ist der Einsatz von modernen Verbandmitteln nur gerechtfertigt, wenn keine täglichen Verbandwechsel erfolgen. Ausnahmen für tägliche Verbandwechsel bestehen beispielsweise bei stark exsudierenden venösen Wunden in der initialen Entstauungsphase, bei infizierten Wunden, bei exulzerierenden Tumorwunden oder akuten Verbrennungswunden. Das Verbandwechselintervall orientiert sich grundsätzlich am Heilungszustand der Wunde, an Exsudatmenge und -beschaffenheit und den jeweiligen Herstellerangaben.
Für Produkte der modernen Wundversorgung sind zwei bis sieben Tage Standzeit erreichbar und gewollt. Es sollten daher - bis auf genannte Ausnahmen - regelhaft maximal drei Verbandwechsel pro Wunde und Woche durchgeführt werden. Eine Materialverordnung über vier Wochen ist nicht sinnvoll, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. In der Überleitung von Menschen mit chronischen Wunden vom klinischen in den ambulanten Bereich sollten daher als Richtgröße maximal zehn Wundauflagen verordnet werden.
Die generelle Materialauswahl richtet sich nach: Patientenbedürfnissen, Schmerzen, Wundstadium/-phase, Infektionsanzeichen bzw. bestehender Infektion, Gerüchen, Zustand von Wundrand und -umgebung, Exsudatmenge und -beschaffenheit sowie Wirtschaftlichkeit. Das Grundprinzip „viel hilft viel“ gilt nicht für die Wundversorgung. Das Übereinanderstapeln von Produkten, sogenannte „Wundburger“, ist weder zweckmäßig noch wirtschaftlich.
Benötigt werden pro Wunde alternativ:
- ein Primärverband, z. B. feinporiger Polyurethanschaumverband, Vlieskompresse mit Superabsorber, Hydrokolloidverband (Abb. 1) oder
- bei Bedarf ein Wundfüller, z. B. Hydrofaser, Alginat, Cavity-Schaum und eine Sekundärabdeckung, z. B. steriler semipermeabler Folienverband, sterile (Saug-) Kompressen, feinporiger Polyurethanschaumverband oder
- bei infektgefährdeten Wunden, kritisch kolonisierten und infizierten Wunden Einsatz eines Lokalantiseptikums, z. B. Polihexanid oder Octenidin – flüssig oder als Gel-Apothekenzubereitung. Bei Nutzung dieser Präparate sollte keine Abdeckung mit folienbeschichteten Wundauflagen erfolgen, da diese ein feucht-warmes Wundklima, welches ein Keimwachstum noch begünstigt, fördern. Zur Abdeckung sind z. B. Wunddistanzgitter in Kombination mit sterilen Kompressen geeignet.
Abb. 1: Unwirtschaftliche, unsinnige Versorgung Hydrogelplatte und darüber Silikonschaumverband, Foto K. Protz, Hamburg
Unsinnig ist der kombinierte Einsatz von Produkten, die sich in der physikalischen Wirkung aufheben:
- die Feuchtigkeit von Hydrogelen wird durch Alginate, Hydrofaser, Superabsorber und feinporige Polyurethanschaumverbände absorbiert
- ein Einsatz von Hydrogel mit feinporigen Polyurethanschaumverbänden ist nur im Einzelfall sinnvoll
Unwirtschaftlich sind unter anderem folgende Produktanwendungen:
- Hydrogele zur Einmalanwendung (erkennbar an der eingekreisten durchgestrichenen Zwei auf der Verpackung); besser konservierte Produkte verwenden, wenn ein Hydrogel mehrfach benötigt wird
- Alginattamponanden als Einmalprodukte für kleine Wunden sind unnötig kostenintensiv, da große Restmengen verworfen werden müssen; wirtschaftlicher ist ein Einsatz von kleinen Alginatkompressen, z. B. 5 x 5 cm
- Hydrokolloidverbände oder semipermeable Folienverbände sollten nicht unter Kompressionstherapie zum Einsatz kommen, da sie keine Speicherkapazitäten für Wundexsudat haben. Zudem wird das Exsudat durch den Kompressionsdruck aus der Auflage herausgedrückt, und es besteht ein Risiko von Hautmazerationen. Angeraten wäre der Einsatz, je nach Exsudation, von Vlieskompressen mit Superabsorbern oder feinporigen Polyurethanschaumverbänden, ggf. mit Superabsorbern.
- Um Verbandwechseln vorzubeugen, die nur der Wundkontrolle und -beobachtung dienen, keine undurchsichtigen sondern transparente Produkte, z. B. semipermeable Folienverbände, verwenden
- Hydrogele, Alginate oder Hydrofaser, die zur autolytischen Wundreinigung zum Einsatz kommen, sollten nicht täglich gewechselt werden
- Eine Sekundärabdeckung von autolytisch wirkenden Produkten, z. B. Hydrogelen, sollte mit Materialien erfolgen, die diese nicht aufsaugen, z. B. mit semipermeablen Folienverbänden.
Mehrkomponentensysteme für die Kompressionstherapie
Diese Systeme sind Einmalprodukte und sollten aus wirtschaftlichen Gründen mindestens zwei bis drei Tage am Bein verbleiben. Eine Verordnung von über drei Systemen pro Woche ist unwirtschaftlich; die maximale Verordnungsmenge sollte bei sieben bis zehn Packungen im Monat liegen. Cave: Erstauungserfolg überprüfen (Vorfuß-, Knöchel- und Wadenumfang 1x/Woche messen)! Nach erfolgreicher Entstauung (meist nach drei bis vier Wochen), sollte eine Umstellung auf Ulkus-Strumpfsysteme oder medizinische Kompressionsstrümpfe erfolgen.
Anwendung von antiinfektiven Wundauflagen
Die Anwendung von mehreren Wundauflagen, die Keime abtöten und/oder binden, z. B. Produkte mit Silber, mit PHMB (Polihexanid) oder hydrophobe Wundauflagen, ist unsinnig und unnötig kostenintensiv. Cave: Ein Keim kann nur einmal sterben! Solche Versorgungen sind nicht nur unsinnig sondern auch unwirtschaftlich. Im Jahr 2014 einigten sich einige Wundauflagenhersteller auf einen Konsens hinsichtlich silberhaltiger Wundauflagen. Danach sind diese Produkte nicht länger als 14 Tage durchgehend zu nutzen. Spätestens nach dieser Zeit ist die Wundsituation erneut zu bewerten. Eine Infektion sollte bei konsequenter antiseptischer Behandlung nach zwei Wochen abgeklungen sein. Flüssige Lokalantiseptika sowie antiseptische und keimbindende Wundauflagen sind keine Standardprodukte zur Regelversorgung sondern speziell für kritisch kolonisierte und infizierte Wunden entwickelt. Dies ist auch unter Kostenaspekten zu berücksichtigen. Solche Produkte sind oft doppelt so teuer, wie gleichwertige Wundauflagen ohne antiinfektive Zusatzwirkung.
- Pro Wunde sollten maximal zwei Produkte plus ggf. Fixiermaterial, z. B. elastische Mullbinden, Schlauchverbände, semipermeable Folienverbände, Pflasterfixiervliese, eingesetzt werden.
- Silber, PHMB, hydrophobe Wundauflagen und andere Spezialprodukte (z. B. Hyaluronsäure, Kollagen) max. ein Produkt pro Wunde.
- Ein Routineeinsatz von Hautschutzpräparaten oder mechanischen Wundreinigungsprodukten ist nicht erforderlich. Dies sollte immer, orientiert an der Wundsituation, im Einzelfall erwogen werden.
- Kein Einsatz von unsterilen Materialien in der Wunde, z. B. Leitungswasser ohne Sterilfilter, unsterile Kompressen, Mehrfachverwendung von Einmalmaterial.
- Generell sind alle folienbeschichteten Wundauflagen semipermeabel, also atmungsaktiv, d.h. durchlässig für Wasserdampf und Kohlendioxid. Eine Überklebung mit Folienverbänden darf nicht erfolgen, da dies eine Okklusion zur Folge hat. Daher ist auch immer darauf zu achten, dass die Deckfolie bei semipermeablen Transparentfolienverbänden entfernt wurde. Der Gasaustausch wäre sonst nicht mehr möglich, und es entsteht ein Infektrisiko (Abb. 2a und Abb. 2b).
- Damit eine Wundauflage optimal arbeiten kann, ist sie korrekt zu applizieren. Die Beschriftung zeigt grundsätzlich nach außen, denn „die Wunde kann nicht lesen“!“
Abb. 2a: (links) Falsche Versorgung, Schaumverband ist komplett mit Folie überklebt, zudem ist die Deckfolie nicht entfernt worden, Foto K. Protz, Hamburg
Abb. 2b: (rechts) Mazeration und Hypergranulation durch okklusive, falsche Versorgung, Foto K. Protz, Hamburg
Kerstin Protz
Krankenschwester, Projektmanagerin Wundforschung CWC-Comprehensive Wound Center im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Vorstandsmitglied Wundzentrum Hamburg e.V., Referentin für Wundversorgungskonzepte
Quellen:
Bültemann A, Daum H, Sellmer W (2018). Wundfibel – Wunden versorgen, behandeln, heilen, 3. Auflage, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Hrsg. (2015).
Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden, 1. Aktualisierung, Osnabrück
Protz, K (2019). Moderne Wundversorgung, Praxiswissen, 9.Auflage, Elsevier Verlag, München
Sozialgesetzbuch (SGB) V: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/
Vasel - Biergans, A (2017). Wundauflagen für die Kitteltasche (Band 1 Konventionelle und hydroaktive Wundauflagen, Band 2 Spezielle Wundversorgung und Produkte für den Handverkauf), 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart
Wundzentrum Hamburg e. V. Standards: http://www.wundzentrum-hamburg.de/standards/